Wir haben es noch in unserer Hand

Foto: Reinhard Naumann

 

Es geschieht leise, unbemerkt. Keine Katastrophen, kein Toben von Naturgewalten, nichts, was wir spüren. Wir nehmen es gar nicht wahr. Sie gehen, ohne eine Erschütterung zu erzeugen. Sie werden weniger und weniger, ohne uns zu alarmieren. Aber sie sind im Begriff, den seit Jahrmillionen bestehenden Vertrag zwischen Pflanzen und Insekten aufzukündigen, weil sie ihn nicht mehr erfüllen können. Das Nahrungsangebot der Pflanzen wirkt nicht mehr, wenn zu wenige Wesen existieren, die es anlocken kann. In diesem Moment bricht die ökologische Kette zusammen. Keine Bestäubung, keine Befruchtung, keine Frucht. Plötzlich fehlen 1/3 der weltweit produzierten Nahrungsmittel und fast die Hälfte unserer lebenswichtigen Stoffe wie Vitamine. Sie kommen aus befruchteten Pflanzen. Dann merken wir es – schlagartig. Aber dann ist es zu spät. Eine zusammengebrochene ökologische Wirkkette kann man nicht am nächsten Tag einfach wieder aufbauen.

 

Der wohlhabende Teil von uns wird sich helfen können. Die anderen sterben – Millionen, wahrscheinlich Milliarden.

 

Wir wissen nicht, ob und wie unsere Gesellschaftssysteme das verkraften. Die Erde wird anders sein und die Gesellschaftssysteme werden sich ebenfalls verändern, niemand kann voraussagen, wie.

 

Mit Insektenschutz lassen sich keine Wahlen gewinnen – noch nicht. Weil den meisten Menschen nicht bewusst ist, wie wichtig er auch für ihr eigenes Wohlergehen ist. Dabei ist Insektenschutz nicht schwierig und nicht teuer. Vernetzung von Biotopen durch Blühstreifen und Hecken an den Weg- und Straßenrändern, Drosselung des Pestizid-Einsatzes in der Agrarindustrie und Einrichtung von einigen qm Wildnis in unseren Gärten und Parkanlagen sind wirksame Maßnahmen, um Insekten Nist- und Brutmöglichkeiten sowie Nahrungsquellen zu bieten. Wir brauchen keine „Todesstreifen“ neben unseren Wegen, sie dienen auch nicht der Verkehrssicherheit, sondern sie zerstören Leben und nehmen nicht nur Insekten, sondern auch Reptilien, Kleinsäugern und Vögeln den Lebensraum weg und isolieren einzelne Biotope voneinander.

 

Wir wissen nicht, ob der Verlust von Biodiversität schon so weit fortgeschritten ist, dass er unumkehrbar bleibt. Aber unsere einzige Chance, ihn aufzuhalten, ist die Schaffung von vernetzten Lebensräumen und die Reduktion des Pestizideinsatzes. Wir müssen auch so schnell wie möglich die fortschreitende Flächenversiegelung zumindest neutralisieren, am besten die Tendenz umkehren.

 

Das sind keine unlösbaren Aufgaben. Im Vergleich zur Energiewende und im Vergleich von Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur sind sie viel weniger kostenintensiv und technisch nicht schwer umzusetzen.

 

Wenn wir zynisch kalkulieren, dass wir als wohlhabende und technisch wie wirtschaftlich starke Staaten die Folgen des Zusammenbruchs der Bestäubungsleistung schon irgendwie meistern werden, befinden wir uns in einem gefährlichen Beschwichtigungsirrtum. Auch wenn wir vielleicht nicht zugrunde gehen – unser gesamtes Gesellschaftsgefüge wird sich verändern und wir werden sehr viel fremdes, aber auch eigenes Elend ertragen müssen.

 

Wir haben es vielleicht – ich hoffe: wahrscheinlich – jetzt noch in unserer Hand, wieder mehr Lebensräume und damit mehr Leben und mehr Diversität zu ermöglichen. Aber diese Tür schließt sich rasch, wir haben nicht mehr Jahrzehnte, auch nicht mehr Jahre Zeit, umzusteuern. Und wir müssen aufwachen, ohne dass ein Alarmsignal uns trifft. Es geschieht unmerklich für uns, wenn es spürbar wird, ist es zu spät.

 

Reinhard Naumann

 

Artenschutz vor Ort:

Schutz-und Rückzugsgebiete sollen vernetzt werden

Klimakatastrophe und Artensterben stellen – neben Armut, Hunger und Kriegen – die größte Bedrohung für das Fortbestehen unserer menschlichen Zivilisation dar. Uns stehen Möglichkeiten zur Verfügung, gegen alle diese Bedrohungen vorzugehen, wir müssen sie nur nutzen.

 

Eine wirkungsvolle Maßnahme gegen den Artenschwund ist eine Vernetzung von Schutz- und Rückzugsgebieten. Diese Maßnahme ist technisch relativ einfach durchzuführen und kostengünstiger als die meisten anderen Vorhaben. Es müssen nur schon vorhandene Strukturen effizienter genutzt und teilweise auch mit einfach durchzuführenden unterstützenden Eingriffen aufgewertet werden:

 

Die Ränder unserer Straßen und Wege sowie die Raine zwischen den landwirtschaftlich genutzten Flächen. Aus diesem Grund hat der NABU Marburg in Zusammenarbeit mit dem BUND ein Projekt „Säume und Raine“ gestartet. Zunächst sollen im Marburger Westen Wegränder als Verbindungsstrukturen zwischen dem Naturschutzgebiet „Kleine Lummersbach“ und den Streuobstwiesen des „Heiligen Grunds“ aufgewertet werden, in westlicher Richtung soll die Vernetzung des Naturschutzgebiets mit dem Allnatal verbessert werden.

 

Es ist vorgesehen, die Wirksamkeit der Maßnahmen wissenschaftlich zu dokumentieren und zu kontrollieren von Forschern der Universität Marburg. Langfristiges Ziel ist es, sowohl in den zur Stadt gehörenden Gemeinden, aber auch im gesamten Landkreis Wegränder und Feldraine soweit aufzuwerten, dass sie von Insekten, Reptilien, Amphibien und kleinen Säugetieren als Vernetzungswege zwischen einzelnen Biotopen genutzt werden können.

Eine Förderung des Projektes durch das nationale Förderinstrument „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK)“ ist bewilligt.

 

Rückfragen an:

Reinhard Naumann info@nabu-marburg.de

 

Weitere Informationen:

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Schutz-und Rückzugsgebiete sollen vernetzt werden
Flyer Säume und Raine.pdf
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Wir brauchen Räume zum Leben...
Wege mit Blühstreifen helfen die Vernetzung von Insekten zu unterstützen
NABU FLYER Säume und Raine v2.pdf
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Projekt "Säume und Raine" Präsentation für den Ortsbeirat Haddamshausen
Projekt
„Blühende und summende
Wegränder im Marburger Westen“
Projekt der Arbeitsgruppe
„Säume und Raine“ der NABU Gruppe Marburg und des
BUND Marburg
Finanziert im Rahmen der Gemeinschaftaufgabe
“Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
(GAK) vom Bund dem Land Hessen
Säume Raine Projekt Präsentation Haddams
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Erhalt von Wege- und Randstreifen - Rechtsgutachten IDUR
Beitrag aus dem
Recht der Natur-Schnellbrief Nr. 202
Mai/Juni 2017
2017-Erhalt-von-Wege-und-Randstreifen-Pe
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